Selbstkontrolle für Filmschaffende – Wie kann das Diversity-Problem gelöst werden?

Wir leben in einer Zeit, in der Themen wie Diskriminierung und Immigration einen großen Platz in unserem gesellschaftlichen und medialen Diskurs einnehmen. Frauenquoten und diverses Personal werden diskutiert, Begegnungsstätten zwischen verschiedenen Kulturen organisiert, Beauftragte für Vielfalt eingestellt, Diversity-Toolkits veröffentlicht…
Kurzum: Die neudeutsche Wortschöpfung „Diversity“ ist jedem ein Begriff. Vor allem im Bereich der Medien ist er unumgänglich geworden. So unumgänglich, dass die zu Grunde liegende positive Absicht des Ganzen in den Hintergrund gerät und immer häufiger Ablehnung seitens Medienschaffender findet:

“The ‘D’ word is one that is beginning to take a negative connotation”[Polak /Duret, S.65]

Dabei besteht das Ziel ja darin, Stereotype in Film und Fernsehen zu vermindern und auf diese Weise nicht nur zu einem realistischeren Weltbild beizutragen, sondern ganz nebenbei auch noch ein interessanteres Programm bzw. interessantere Geschichten zu entwickeln.
Doch wie soll dies realisiert werden? Und vor allem: Ist es in der Filmbranche überhaupt möglich, künstlerische Freiheit und Diversity miteinander zu vereinen?
Um auf diese Fragestellungen einzugehen, werde ich zuerst einen kurzen Überblick über die Auswirkungen von Stereotypen geben. Im Anschluss werde ich prüfen, inwieweit ein Diversity-Toolkit für Fernsehjournalisten auf das Medium Film übertragbar ist. Eine angepasste Checkliste für Filmschaffende wird entworfen und ein theoretischer Lösungsansatz für das Aufbrechen von Stereotypen erläutert. Zuletzt sollen die Realisierungsmöglichkeiten von Diversity in der Filmbranche kritisch beurteilt werden.

Stereotypen

Medien tragen einen großen Teil dazu bei, wie wir über uns und unser Verhältnis zu anderen denken. Wie im 2014 Hollywood Diversity Report erläutert, besteht durch die Abwesenheit oder stereotype Darstellung von bestimmten Gesellschaftsgruppen in Film und Fernsehen die Gefahr, dass die Ungleichheit auf dem Bildschirm normalisiert und auf unsere Realitätswahrnehmung übertragen wird.
Solche Fehlinterpretationen der Realität durch die Medien entstehen besonders dann, wenn der Zuschauer das Fernsehen als Medium „sozialen Lernens“ wahrnimmt und keine eigenen Erfahrungen gemacht hat, die dem vermittelten Stereotyp wiedersprechen.
Einfaches Beispiel: Ein Zuschauer verfügt über keine persönlichen Kontakte zu Afrikanern. Im Fernsehen sieht er jedoch wiederholte Darstellungen von schwarzen Menschen in der Rolle von gewalttätigen Kriminellen…
Stereotype helfen dabei, unsere Umwelt zu vereinfachen – Und einfache Fakten bleiben im Gedächtnis.

Ein Diversity Toolkit für Fernsehjournalisten

Den Nachrichten entnehmen wir viel Wissen über die Welt und schenken ihnen Glauben. Umso wichtiger ist es, dass die Berichterstattung die Welt wirklich so darstellt, wie sie ist – zumindest soweit das für ein Medium möglich ist.
Ein Diversity-Toolkit aus dem Jahr 2007 soll Journalisten darüber Aufschluss geben, wie sie eine ausgeglichene und vielschichte Berichterstattung erreichen können. Anhand von Beispielen macht es auf die teilweise einseitigen Perspektiven aufmerksam: Die Interviewten sind in vielen Fällen nicht repräsentativ für die betroffene Gruppe, die Fakten nachlässig recherchiert und Minderheiten werden häufig mehr als Angelegenheit anstatt als Personen behandelt.
Das Toolkit stellt außerdem eine Checkliste zur Selbstkontrolle auf und ermutigt zu Taten. Gleichzeitig sind sich die Macher des Toolkits jedoch der Problematik ihres Sujets bewusst und zitieren höchst passend:

Meetings happen, fine things are spoken, but action doesn’t follow“. [Polak /Duret, S.62]

Das Problem besteht ihrer Meinung nach darin, dass Diversity-Vorgaben im ohnehin stressigen Berufsalltag meist nur als eines gesehen werden: als lästige Pflicht. Wahre Verbesserung könne nur erreicht werden, wenn die Geschäftsführung Diversity als positiven Wert vermittelt und betont, dass es eine Chance darstellt: Eine Chance, neue, innovative Blickwinkel auszuprobieren und sowohl die eigenen Horizonte als auch seinen Publikumskreis zu erweitern.

Diversity im Film

Während die Fernsehnachrichten ein Abbild der Realität sein müssen und so die Diversity-Richtlinien klar gesetzt sind, so kommt es bei dem fiktionalen Film auf ganz andere Werte an: Unterhaltung, Spannung und Kreativität.
Es bleibt den Filmemachern überlassen, ob sich die Story an der Realität orientiert. Stereotype sind allgegenwärtig, weiße männliche Hauptrollen überwiegen. Ab welchem Punkt ein Film jedoch als diskriminierend anzusehen ist, lässt sich nur schwer sagen; schließlich kann von einer gezeigten Handlung nicht auf die tatsächliche Meinung der Filmemacher geschlossen werden. Was kann getan werden um die Situation zu verbessern?
Einen wirklichen Lösungsansatz zur Umsetzung der angemessenen Diversity gibt es derzeit nicht und überstiege ohnehin das Ausmaß dieser Arbeit.
Der folgende Abschnitt versucht jedoch, die wichtigsten Punkte für eine Selbstkontrolle für Filmemacher in Punkto Diversity aufzustellen.

Entwurf einer Selbstkontrolle für Filmschaffende

Allgemein:

  1. Bin ich mir meiner persönlichen Vorurteile bewusst?
  1. Denke ich darüber nach, ob meine Geschichte von Stereotypen Gebrauch macht?
    Bin ich mir über die mögliche Auswirkung dieser Stereotype auf den Zuschauer im Klaren?
  1. Kenne ich die Macht der verwendeten Bilder, Sprache und der Musik im Zusammenhang mit diskriminierenden oder stereotypen Darstellungen?
  1. Erfüllt jemand, den ich kenne, wirklich die von mir erzählten Stereotype?
  1. Für die realistische Darstellung einer Kultur/Personengruppe/eines Berufes:
    Frage ich Experten um Rat?

Plotentwicklung:

  1. Finde ich neue Erzählperspektiven als die eigene gewohnte?
  1. Versuche ich mich an neuen, bisher unerprobten Charakterkonstellationen? Oder wähle ich Hauptcharaktere, von denen ich erwarte (ersichtlich an ähnlichen Vorgängern), dass sie dem Publikum gefallen?

Umsetzung:

  1. Besetze ich nur solche Rollen mit Darstellern von offensichtlich nicht-weißem Aussehen, wenn die Story es ausdrücklich erfordert? Oder caste ich den Schauspieler, der die Rolle optimal ausfüllt unabhängig von dessen ethnischer Erscheinung?
  1. Besetze ich nur dann die Rollen mit männlichen/weiblichen Darstellern, wenn die Story es ausdrücklich erfordert? Oder caste ich den Schauspieler, der die Rolle optimal ausfüllt – falls möglich – unabhängig von seinem Geschlecht?

Anmerkungen zur Checkliste:

Die Punkte 1 bis 4 dienen dazu, sich seiner eigenen Geisteshaltung bewusst zu werden und sich mit dem Thema Stereotype auseinanderzusetzen. Sie sind rein theoretischer Natur.
Punkt 5 hingegen ruft zum Handeln in Form von sorgsamer Recherche auf. Grund hierfür: Jeder Mensch ist von seinem eigenen Kulturkreis beeinflusst und wird als Status Quo alles von seiner eigenen Perspektive aus erzählen oder beurteilen. Das Zurate ziehen von Experten oder Menschen aus anderen Kulturkreisen kann helfen, den Blick zu öffnen.
Die beiden Fragen zur Plotentwicklung appellieren an den Mut des Autors, gegen den Strom zu schwimmen. Alt bewährtes funktioniert zwar ohne Zweifel immer wieder, doch nur durch das Verlassen des Mainstreams an Geschichten (z.B. durch mehr Diversität) kann ein Film entstehen, der im Gedächtnis bleibt.
Punkt 8 und 9 sind ein meines Wissens nach bisher größtenteils unangetasteter Ansatz. Wer es wagen möchte, experimenteller mit der Drehbuchvorlage umzugehen, dem werden höchstwahrscheinlich äußerst interessante Charaktere gelingen.
Die Punkte 1 bis 3 sowie 6 bis 7 sind dem Diversity Toolkit für Fernsehjournalisten entlehnt.

Weitere Lösungsansätze

Das „Goodness of Fit“-Prinzip
Ein konkreter wissenschaftlicher Ansatz, wie vorhandene Stereotype abgebaut werden können, besteht derzeit nicht. Es existiert jedoch eine interessante Hypothese aus dem Gebiet der sozialen Kognition, die auf dem sogenannten „Goodness of Fit“-Prinzip beruht:

Viewing strongly disconfirming members of a category sustains the category. [Dixon, S.4]

Die am nahesten liegende Lösung zur Aufhebung von Stereotypen ist somit als ineffektiv deklariert: Nur das Gegenteil der Sehgewohnheiten zu zeigen genügt nicht, da dieses als Ausnahme von der Regel empfunden werden würde.
Stattdessen muss erreicht werden, dass das präsentierte Mitglied einer Gesellschaftsgruppe nur moderat vom Stereotyp abweicht und so trotzdem als zur Gruppe zugehörig wahrgenommen wird.

Sind Vorgaben sinnvoll?

Durch Reglementierungen im Filmbusiness können meiner Meinung nach keine wesentlichen Fortschritte erzielt werden. Die Vorstellung beispielsweise, Drehbuchautoren zu einem Mindestprozentsatz an weiblichen/dunkelhäutigen Charakteren zu zwingen, wäre absurd. Der Anteil von „Minderheiten“ (welch unmenschliches Wort) an einem Film sagt schließlich keineswegs etwas über dessen Qualität aus.
Es geht nicht darum, nur „den Eindruck zu machen, dass etwas getan wird.“ [Polak /Duret, S.36]
Eine grundlegende Änderung muss in der Denkweise der Menschen erfolgen, nicht eine Änderung in nur wiederwillig befolgten Regeln.
Toolkits wählen diesbezüglich einen Mittelweg, indem sie Interessierten die nötigen Informationen vermitteln, um differenzierter über Diversity in ihren Inhalten nachdenken zu können. Andere als Filmemacher, die von sich aus auf Diversity achten wollen, wird ein Toolkit allerdings kaum erreichen.

Kritik: Kategorien über Kategorien

Je länger man sich mit der Problematik „Diversity“ beschäftigt, desto mehr verfällt man in ein Denken, das automatisch alle Charaktere in potentiell diskriminierte Gruppen aufspaltet. Da gibt es die Unterscheidung zwischen Frauen, Männern, Weißen, Schwarzen, Muslimen, Christen, Homosexuellen, Übergewichtigen, Behinderten. Außerdem typische Untergruppen, die Stereotype: Hausfrau, Karrierefrau, Sexbombe, graue Maus, Actionheldin…
Überall existieren Kategorien und Statistiken über die Unterpräsentation oder Stereotypisierung von den betrachteten Gruppen. Doch Missverhältnisse zu katalogisieren ist nicht der eigentliche Sinn der Sache.
Zahlen machen aufmerksam, soweit sind Statistiken sinnvoll, doch genau genommen wäre der Vielfalt am meisten gedient, wenn man all die Analysen nicht brauchen würde. Denn genug Medienschaffende sind des Themas überdrüssig geworden:
„I have to admit that sometimes I’m little bit fed up with diversity”. [Polak /Duret, S.53]

Die künstlerische Freiheit erlaubt es uns, so viele Stereotype zu nutzen wie wir es für richtig halten. Und diejenigen, die diverse Filme machen möchten, werden das in unserer heutigen Zeit von sich aus tun.
Außer: Sie haben nicht die Mittel dazu.
Was viel eher gebraucht wird als Statistiken ist eine Unterstützungen für Independent-Filmer und der Aufbau von hollywoodfernen Filmszenen. Wer vielfältige Filme möchte, der muss ebenso vielfältige Filmemacher fördern.

 

Ein Text von Janika H.

 

Quellen

Polak, Lynne; Duret, Pierre u.a.: A Diversity Toolkit for factual programmes in public service television. European Union Agency for Fundamental Rights, 2007.
Dixon, Travis: A Social Cognitive Approach to Studying Racial Stereotyping in the Mass Media. Institute for Social Research, The University of Michigan, 2000.
Dr. Hunt, Darnell; Dr. Ramon, Ana-Christina; Dr. Price, Zachary: 2014 Hollywood Diversity Report. Making Sense of the Disconnect. S. 5, 6, 26. Ralph J. Bunche Center for African American Studies, 2014.

2 comments

  1. Schön herausgearbeitet und nachvollziehbare Kritik – es muss ja um Wertschätzung gehen. Und dazu gehört nun auch mal Förderung von bisher wenig beachteten Filmen und -szenen.
    Vielleicht kann crowdfunding hier zukünftig neue Perspektive aufzeigen, um unabhängiger zu werden – was meinst ihr?
    Christine

  2. Schön herausgearbeitet und nachvollziehbare Kritik – es muss ja um Wertschätzung gehen. Und dazu gehört nun auch mal Förderung von bisher wenig beachteten Filmen und -szenen.
    Vielleicht kann crowdfunding hier zukünftig neue Perspektive aufzeigen, um unabhängiger zu werden – was meint ihr?
    Christine

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